Dominanz holländischer Pferde im internationalen Fahrsport

Der Anteil holländischer Fahrpferde im internationalen Fahrsport hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen und vor allem deutsche Pferde mit Dressurabstammungen verdrängt. Grund genug für Rolf Schettler, die erste Besichtigung zur Hengstkörung der holländischen Spezialrasse „Tuigpaarden“ in Ermelo/NED unter die Lupe zu nehmen.

Die Feststellung, dass sich in den letzten Jahren eine gewisse Dominanz holländischer Pferde im internationalen Fahrsport abzeichnet, ist das eine. Den Gründen dafür nachzuspüren das andere. Wer der offenkundigen Begehrlichkeit der holländischen Fahrpferde auf den Grund gehen möchte, ist gut beraten an der Quelle nachzuschauen. Das Selektionssystem des Zuchtverbandes KWPN (Koninklijk Warmbloed Paarden Nederland) ist grundsätzlich für alle Rassegruppen gleich. „Selection für performance“ – gezüchtet für Turnierleistung ist das generelle Motto aller vom KWPN betreuten Rassen, so auch der Fahrpferde.

Gelderländer und viel mehr

Tuigpaard

spektakulär

Zunächst ist eine begriffliche Unterscheidung nötig: Holländische Fahrpferde sind nicht automatisch mit der nur sehr kleinen Spezialrasse der Gelderländer gleichzusetzen. Die großrahmigen, vorwiegend in der Fuchs- und Rappfarbe, seltener als Schimmel vorkommenden und überwiegend mit vier hochweißen Beinen sowie mehr oder weniger breiter Blesse versehenen Gelders sind entgegen dem sonstigen Spezialisierungstrend der holländischen Pferdezucht nach wie vor Allrounder. Dressur, Springen und vor allem die Eignung als Fahrpferd spielt dort eine Rolle. Die weitaus größere zahlenmäßige Bedeutung haben die Tuigpaarden, die in allen Farben vorkommen. Zuchtziel ist ein mindestens 1,60 m großes Pferd mit deutlicher Bergauf-Tendenz, deutlich aufgerichtetem Hals mit gut bemuskelter Oberlinie und leichtem Genick. Langbeinigkeit und eine gut bemuskelte Hinterhand, deren Kruppen-Verlauf durchaus auch horizontal sein darf, ermöglicht das primäre Selektionskriterium, nämlich maximale Knieaktion in guter Selbsthaltung und stark vom Boden abfußende, deutlich unter dem Körper greifende Hinterbeinaktion. Diese exaltierte Bewegungsart, die nur selten mit einem tätigen, schwingenden Rücken in Einklang zu bringen ist, wird von den holländischen Selektoren gerne als „stolz“, „spektakulär“ oder als „show-präsent“ bezeichnet.

Junghengstkörung in Ermelo

Tuigpaard Körung

Junghengst bei der Körung

Anfang Januar in Ermelo findet die erste Besichtigung des dann gerade dreijährigen Hengstjahrganges statt. Rund 40 Kandidaten werden dabei an der Hand gezeigt. Das Exterieur und die Bewegungen werden mittels linearer Beschreibung von ca. 20 Einzelmerkmalen erfasst. Die Väter der gezeigten Junghengste stammen überwiegend aus dem Tuigpaarden-Stutbuch, vereinzelt sind auch ausländische Hengste, insbesondere Hackneys oder American Saddlebreds vertreten, ganz selten Gelderländer Hengste. Die ursprünglich aus England stammende Hackney-Rasse steht weltweit für Pferde mit enormer Knieaktion und maximaler Beugung der Hinterhandsgelenke. Spätestens bis zum zweiten Selektionsschritt wenige Wochen später in s‘Hertogenbosch müssen die Junghengste an alle vier Beinen und im Rücken geröntgt sein, wobei man drei Röntgenklassen A, B und C unterscheidet. Röntgenklasse C ist grundsätzlich nicht körfähig, aber ein Dispens bei überragender Bewegung und besonders guter Exterieur-Bewertung ist möglich. Die Verwendung eines solchen Dispens wird öffentlich gemacht, sodass der Züchter sich für seine Anpaarungsentscheidung darauf einstellen kann. Ein dritter Selektionsschritt findet als Leistungsprüfung vor dem Wagen statt, die für alle gekörten Tuigpaarden-Hengste verpflichtend ist.

Kein Freilaufen

Interessanterweise werden die Tuigpaarden nicht freilaufend gezeigt, sondern lediglich an der Hand. Dies gilt auch für die zweite Besichtigung in s‘Hertogenbosch, wo dann die Zulassung zur Hengstleistungsprüfung ausgesprochen wird. Bemerkenswert ist ferner, dass ganz offenkundig der Schritt eine deutlich geringere Wertschätzung erfährt als in den deutschen Reitpferdezuchten. Selbst beim Schrittring auf der Körung gestatten die Vorführer den knapp dreijährigen Hengsten keinen ruhigen, schreitenden Viertakt mit gedehntem Hals, sondern halten bei deutlicher Aufrichtung und starker Körperspannung die Junghengste in einem tänzelnden Gang.

Der vorjährige Hengstjahrgang der inzwischen Vierjährigen wird traditionell im Rahmen der Körveranstaltung ohne besondere Bewertung

Tuigpaard mit Aufsatzzügel

Tuigpaard mit Aufsatzzügel

gezeigt. Dies erfolgt überwiegend vor leichten, luftbereiften und mit Speichenrädern versehenen Buggys mit extrem minimalistischem Geschirr. Das kaum mehr als fünf Zentimeter breite Brustblatt verfügt am Halsriemen noch nicht einmal über Leinenführungsringe. Die Leinen werden einfach unter den Brustblatt-Träger geführt, ebenso die Aufsatzzügel, den man hier gelegentlich noch zu sehen bekommt. Wie auch in England sind bei diesen Präsentationen die Scheuklappen extrem dicht an die Pferdeaugen herangeklappt. Die Tasthaare an den Pferdemäulern sind nahezu vollständig rasiert, teilweise auch die Augenwimpern gestutzt. Auf die Frage an Kommissionsmitglieder und Tierärzte, ob man darin kein Tierschutzproblem sieht, gibt es eine kurze, eindeutige und fast kopfschüttelnde Antwort: „Nein!“.

Genetische Vielfalt – Option für Deutschland?

Ein Blick in die genetische Zusammensetzung der Tuigpaarden zeigt schnell, dass die alte Landrasse der Groninger, typ- und abstammungsmäßig mit den alten Oldenburgern und Ostfriesen identisch, als Ursprungsrasse anzusehen ist. Ganz geringe arabische Elemente, vor allem aber englische Hackneys und vereinzelte American Saddlebreds haben dann die Weiterentwicklung zum modernen Tuigpaard ermöglicht. Diese so typische spektakuläre Bewegungsart scheint auch sehr dominant vererbt zu werden, denn für den Fahrsport und gelegentlich auch für die Dressur werden häufig auch Gebrauchskreuzungen von Tuigpaarden mit Gelderländern oder Reitpferde-Stuten durchgeführt, wobei der Züchter dann die Wahlmöglichkeit hat, in welches Zuchtbuch er die Nachkommen eintragen lässt. Die unbestreitbare Tatsache, dass Pferde mit dieser spezifischen Bewegungsmanier im internationalen Fahrsport offenbar auch am Richtertisch sehr geschätzt werden, beflügelt die Diskussion, ob eine Einkreuzung von Tuigpaarden etwa mit den sehr soliden Schweren Warmblütern Erfolg versprechen könnte. Wegen des gemeinsamen genetischen Ursprungs könnte diese Diskussion in Zukunft noch Fahrt aufnehmen.

Tuigpaard-Hengste nur im Privatbesitz

Das Deckgeld der Tuipaarden-Hengste, die sich ausschließlich in Privatbesitz befinden, beträgt durchschnittlich zwischen 450 bis 600 €, obwohl Spitzenhengste bei der Körung durchaus zu Kaufpreisen oberhalb von 100.000 € gehandelt werden. Für Außenstehende ist dieser Markt allerdings nur begrenzt transparent, denn es findet keine Auktion statt, sondern ausschließlich privater, vom Verband begleiteter Handel.

Gedankenspiel

Man muss kein ausgewiesener Tuigpaarden-Fan sein, um zu konstatieren, dass die kompromisslose Leistungszucht des KWPN auch in diesem Segment im internationalen Sport nicht ohne Auswirkungen bleibt. Ähnlich wie die holländische Dressurpferdezucht sich deutsche Genetik verschafft hat und damit die deutsche Dressurpferdezucht zu überflügeln droht, ist bei den Fahrpferden zumindest der umgekehrte Weg denkbar. Die Diskussion hierüber ist bereits eröffnet!

Rolf Schettler