Welsh Driving

Royal Welsh Agricultural Show

Auch die weltgrößte Landwirtschaftsausstellung, die Royal Welsh Agricultural Show in Builth Wells in Wales/GB ist Corona zum Opfer gefallen und wurde für dieses Jahr abgesagt. Wir schüren etwas Vorfreude für nächstes Jahr.

Welsh Driving

spektakuläres Gangwerk

Der kleine walisische Ort Llanelwedd, Gemeinde Builth Wells im Herzen von Süd-Wales scheint einmal im Jahr für vier Tage der Nabel der Welt zu sein. Jedenfalls für Pferde-, Rinder- und Schafzüchter. Knapp 250 000 Besucher, davon lediglich 15 % nicht aus Wales, machen sich alljährlich auf den Weg zur Royal Welsh, um sich über die neuesten Entwicklungen in der Land- und Forsttechnik, vor allem aber über Tierzucht zu informieren. Kaum vorstellbare 800 Rinder, 2 900 Schafe und über 3 000 Pferde werden an den vier Tagen in den unterschiedlichsten Wettbewerben miteinander verglichen.

250.000 Zuschauer auf der Royal Welsh

Die überwiegend bäuerliche Landwirtschaft in Wales hat, anders als in Deutschland, bis heute an einer großen Rassevielfalt in allen landwirtschaftlichen Nutztierarten festgehalten. Bei den Pferden dominiert naturgemäß die Rassegruppe Welsh, von denen die Welsh Cobs (Section D) mit 480 Nennungen die deutlich größte Gruppe darstellen, gefolgt von den charmanten, kleinen Welsh Mountain Ponys (Section A) mit 380 Nennungen. Neben zahlreichen züchterischen Wettbewerben, in denen die Pferde an der Hand, im Stand und in der Bewegung präsentiert werden, gibt es auch zahlreiche fahrsportliche Prüfungen ganz unterschiedlicher Couleur. Allen Wettbewerben gemeinsam ist die für deutsche Verhältnisse ungewöhnliche Tatsache, dass sie stets von einem Einzelrichter beurteilt werden. Selbst das Highlight der Veranstaltung, die Beurteilung der achtjährigen und älteren Welsh Cob-Hengste, deren Abschneiden auf der Royal Welsh für das folgende Jahr ganz entscheidend deren züchterische Inanspruchnahme mitbestimmt. Mindestens 5 000 Zuschauer versammeln sich dann auf der Haupttribühne und an den Rails des Hauptstadions, um lautstark ihren Favoriten anzufeuern, wenn dieser in aktionsreichem Trab die lange Gerade heruntersteppt. Was einen guten Welsh Cob ausmacht? Ein alter, längst pensionierter Zuchtrichter bringt es auf den Punkt: „A face like an actress – an ass like a cock!“ (Ein Gesicht wie eine Schauspielerin – ein Hintern wie ein Gockel). Doch sie müssen auch gehen können, wobei das walisische Publikum hierunter vor allem eine maximal ausgeprägte „Knieaktion“ versteht, weitgehend ohne Rückentätigkeit und ohne Rücksicht auf die hierzulande prioritären Kriterien wie Takt, Losgelassenheit und Schwung.  Etwas irritierend für mitteleuropäische Augen ist ferner die Tatsache, dass die Schaupferde komplett rasiert sind, sämtliche Tasthaare am Maul und an den Ohren entfernt sind.

Fahrwettbewerbe

stilvoll und historisch

Dies spiegelt sich dann auch bei den Wettbewerben vor dem Wagen wider. Ein Dressurviereck, Kegelpaare oder Geländehindernisse werden dabei nicht gebraucht, das sei „FEI-Driving“, eine ganz andere Art des Fahrsports, so heißt es. In ganz Großbritannien, also auch in Wales, haben Light Trade Turnouts, also die leichten Gewerbeanspannungen, große Tradition. Fahrzeuge mit denen vor 100 Jahren frische Milch, Fleischer- oder Bäckereiprodukte, aber auch Brennholz oder Gemischtwaren in die Dörfer transportiert und vor Ort verkauft wurden. Mit großer Liebe zum Detail und mit perfekt herausgeputzten Pferden stellen sich zahlreiche Liebhaber ihrem Richter, wobei Authentizität und Funktionstauglichkeit aller Details akribisch geprüft wird. Weil es sich aber um einen fahrsportlichen Wettbewerb handelt, zählt natürlich auch das Herausgebrachtsein und der Gang des Pferdes, häufig wiederum Welsh Cobs, entscheidend mit über Sieg und Platzierung.

Buggys und ein Hauch von Geschirr

typvoll

Unter dem Stichwort „Welsh Driving“ präsentieren sich Welsh Ponys und Cobs vor leichten, luftbereiften Buggys mit Drahtspeichenrädern, deren Fahreigenschaften gerade einmal beim Fahren einer Acht geprüft wird. Ansonsten geht es auch hier um das Steppen der Pferde, das häufig noch durch Aussatzzügel forciert wird. In diesem Classement sind die Pferde gerade noch mit einem Hauch von Geschirr ausgestattet, ein ganz leichtes Selett und ein nur wenige Zentimeter breites Brustblatt reichen aus, um die extrem leichten Wagen über den Prüfungsplatz zu bewegen. Auffällig ist, dass durchweg die Blendklappen sehr eng an den Augen der Pferde anliegen, woran weder Richter noch Zuschauer Anstoß nehmen. Auf die Begründung für diese Maßnahme angesprochen, antworten die walisischen Fahrer, ganz gleich, ob Profi oder Amateur, die Pferde und Ponys ließen sich dann viel besser fahren.

Concours D’EleganceWelsh Driving for ladies

Der Concours D´Elegance entspricht in unserem Verständnis dem Traditionsfahren. Auch hier werden die Pferde unterschiedlicher Typen vom schweren Welsh Cob bis hin zum leichten Hackney Pony zunächst in der Bewegung auf großen Linien gezeigt, bevor der amtierende Richter jedes einzelne Gespann im Halten überprüft. Geschirr, Pflegezustand des Pferdes und alle Details am Fahrzeug werden dabei genauestens untersucht, ebenso wie Sitz und Anzug des Fahrers respektive der Fahrerin. Auch hier, obwohl es nicht um den möglichst hohen, steppenden Gang geht, kann man noch vereinzelt Aufsatzzügel sehen. In den Einspänner-Classements dominieren ganz überwiegend die einachsigen Fahrzeuge, vor allen Dingen Gigs in unterschiedlichster Aufmachung, überwiegend sehr gut austariert. Nur in Einzelfällen hat der Betrachter das Gefühl, dass das Pferd oder Pony zuviel Vorderlast über das Selett tragen muss. In England und Wales schätzt man das einachsige Fahrzeug mit seinen großen Rädern traditionell als besonders leichtes und leichtgängiges Fahrzeug. In diesen Klassen sind auch professionelle Fahrausbilder engagiert an den Leinen, denn eine Rosette und eine Stallplakette der Royal Welsh haben nach wie vor enormes Renommee. Auffallend ist, dass selbst wenn bei größeren Abteilungen bis zu 20 Gespanne in der Bahn sind, die dann alle einzeln vom Richter betrachtet werden. Das bedeutet für die übrigen Gespanne eine enorm lange Zeit, bei der sie in Reih‘ und Glied stillstehen müssen. Wer bei Gespannpräsentationen oder Siegerehrungen hier zulande sieht, wie bereits wenige Minuten Stehen die Pferde vor Probleme stellt, der erlebt auf den britischen Inseln das genaue Gegenteil. Die Pferde stehen mit einer inneren Ruhe, denen selbst ein erkennbar angespannter Fahrer nichts anhaben kann.

 

„Man muss öfter mal vor die Tür gehen, um etwas zu sehen“, sagt der Volksmund. Aus diesem Grund sollte man die Royal Welsh im kommenden Jahr durchaus einmal in die Reiseplanung einbeziehen – es lohnt sich!

 

Rolf Schettler