Korrekte Pferde mit gutem Charakter

Hannoveraner, Westfalen, Oldenburger, und Holsteiner sind als Spring-, Dressur- und Vielseitigkeitspferde sind in aller Munde. Rolf Schettler, Vorstandsmitglied im Deutschen Reiter- und Fahrer-Verband und Vorsitzender der DRFV-Fachgruppe Fahren, geht der Frage nach, welche Rolle der Fahrsport in der Zucht des Deutschen Reitpferdes spielt und spielen könnte.

Prioritäten des Zuchtverbandes

Um zu erfahren, welche züchterischen Prioritäten ein Zuchtverband setzt, ist ein Blick in die Zuchtbuchordnungen und hier speziell in das dort normierte Zuchtziel hilfreich. Die Zuchtverbandsordnung (ZVO) der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, Bereich Zucht gibt den großen Rahmen für alle Reitpferdepopulationen in Deutschland vor. Sie nennt in § 200a ZVO (Rahmenzuchtziel) die Eckwerte:

„Gezüchtet wird ein edles, großliniges und korrektes, gesundes und fruchtbares Pferd mit schwungvollen, raumgreifenden, elastischen Bewegungen, das aufgrund seines Temperamentes, seines Charakters und seiner Rittigkeit für Reitzwecke jeder Art geeignet ist.“

Reitpferd gleich Sportpferd?

Flores Dream von Florestan

Warendorfer Landbeschäler Flores Dream von Florestan mit Christian Koller

Diese Formulierung, die im Wesentlichen aus den 70er Jahren stammt, verwendet den nicht mehr ganz zeitgemäßen Begriff „Reitzwecke aller Art“. Zur Entstehungszeit dieser Formulierung spielte der Fahrsport noch keine nennenswerte Rolle im Sportgeschehen. Einige Zuchtverbände haben daher in der Zwischenzeit in der Spezifikation ihres Zuchtziels auf den Begriff „Sportzwecke aller Art“ gesetzt. So z.B. die Oldenburger und die unter der Bezeichnung „Deutsches Sportpferd“ gemeinsam tätigen Verbände der neuen Bundesländer, denen sich inzwischen auch Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz/Saar angeschlossen haben. Der Trakehner-Verband nennt das „rittige und vielseitig veranlagte Reit- und Sportpferd“ als Zuchtziel. Der größte deutsche Pferdezuchtverband Hannover hat die Zeichen der Zeit erkannt und neben den reiterlichen Verwendungszwecken Dressur, Springen und Vielseitigkeit einen ausdrücklichen Zusatz zu seiner Zuchtzielbeschreibung hinzugefügt:

„Mit den oben genannten Eigenschaften wird auch die Zucht von Pferden angestrebt, die außerdem Qualitäten für den Fahrsport haben.“

Reiten und Fahren gehören zusammen

Nicht zu Unrecht, denn im internationalen vielseitigen Fahrsport spielen Pferde aus der Rassegruppe Deutsches Reitpferd eine wichtige Rolle und werden inzwischen auch von ausländischen Spitzenfahrern gesucht, sogar aus den Niederlanden, die über eine traditionelle Fahrpferdezucht verfügen. Die begriffliche Erweiterung des Zuchtziels auf Fahrsportzwecke ist kein Paradigmenwechsel, sondern als Klarstellung zu begrüßen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Reiten und Fahren systematisch zusammen gehören. Die Ausbildungsskala gilt für beide, für Reit- und Fahrpferde gleichermaßen, die Anforderungen an die Bewegungsqualität, die Durchlässigkeit und die Dehnungsbereitschaft sind identisch. Selbst die Versammlungsfähigkeit, die bei Fahrpferden über viele Jahre keine besonders beachtete Rolle spielte, rückt durch technisch anspruchsvollere Fahraufgaben mehr in den Fokus. Der Galopp, der über Jahrzehnte im Fahrsport keine Rolle spielte, ist inzwischen in den (Fahr-)Dressuraufgaben ab Kl. M verankert. Gerade diese Verbreiterung des Anforderungsprofils im modernen Fahrsport verschafft dem Deutschen Reitpferd im internationalen Wettbewerb einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Die bisher auf internationaler Bühne stark vertretenen holländischen Fahrpferde, die allesamt das wegen seiner spektakulären „Knie“-Aktion geschätzten Gelderländer- und Tuigpaarden-Blut führen, kommen da ins Hintertreffen. Ihr Schritt ist überwiegend schwach und in Takt und Raumgriff nicht befriedigend, die Galoppade selten in dem geforderten klaren Dreitakt. Alles das haben die Deutschen Reitpferde hingegen zu bieten.

Zugleistung für Reitpferde

Fahrpferde

Zugleistungsprüfungen sind nur noch beim Schweren Warmblut, wie hier in Moritzburg, Teil der Leistungsprüfung.

Bei den Hengstleistungsprüfungen bis Mitte der 70er Jahre gehörte die Prüfung im Geschirr vor dem Traberwagen zum Pflichtprogramm, als Rücken- und Nerven-schonender Ausbildungsabschnitt sowie als Charaktertest. Inzwischen wurde das Einfahren der jungen Hengste aus dem Profil der HLP gestrichen, in erster Linie wegen der Verkürzung der Prüfung. Es bleibt einfach nicht mehr genug Zeit dafür. Lediglich die Landgestüte wählen immer noch eine größere Zahl ihrer Hengste aus, die nach absolvierter HLP eingefahren werden. Wie gut ihnen das bekommt zeigen Beispiele wie der Warendorfer Landbeschäler Flavis, Westfale von Flanagan, der mit Obersattelmeister Christian Koller 2014 BundesChampion des Deutschen Fahrpferdes war und 2015 unter Anja Wilimzig Finalist im BundesChampionat des Deutschen Dressurpferdes. Inzwischen ist Flavis bis M-Dressur gefördert und abermals auf Championatskurs.

Was erwarten wir von einem guten Fahrpferd?

Das auf Reitpferde ausgerichtete Zuchtprogramm bringt mit seinen Leistungsprüfungen, die die Elemente Grundgangarten, Rittigkeit und Springvermögen testen, hervorragend geeignete Fahrpferde hervor. Was der Reiter als Leichtrittigkeit schätzt, also die leichte Nachgiebigkeit im Genick, das tätige Maul, die Bereitschaft sich auf nachgebende Hilfen nach Vorwärts-abwärts zu dehnen sowie sich nach rechts und links stellen zu lassen und zu biegen, wird gleichermaßen auch vom Fahrer gewünscht. Es dominieren im Fahrsport nicht ohne Grund die typischen Dressurpferde-Abstammungen. Raumgreifende, schwungvolle Bewegungen sind in beiden Disziplinen gleichermaßen gefragt. Beim Kegelfahren und im Gelände fordert der moderne Fahrsport Reaktionsschnelligkeit und Wendigkeit der Pferde. Diese Eigenschaften entsprechen den gleichen Tugenden, die auch von Springpferden erwartet werden. Daher haben schnelle und mutige Geländepferde oft den Schuss Springblut in ihren Adern. Das liegt an der bei Springpferden häufig vorkommenden sog. „weißen“ Muskulatur, also besonders schnell kontrahierende Muskelfasern, wie sie vor allem bei Sprintern vorherrschen. Eine wie auch immer geartete Negativ-Korrelation zwischen den für Reit- und Fahrpferde notwendigen Eigenschaften lässt sich demnach nicht feststellen.

Turnierleistungen im Fahrsport messbar?

Konsequenterweise muss man die Frage stellen, ob und in wieweit Turnierleistungen, die im Geschirr erbracht werden, für die Reitpferdezucht nutzbar gemacht werden könnten. Dass anders als bei den Schweren Warmblütern in den Reitpferderassen eine Eignungsprüfung für Fahrpferde allein keine hinreichende Überprüfung der züchterisch notwendigen Grundqualitäten darstellt, dürfte klar sein. Es fehlt weitgehend die Beurteilung der wichtigen dritten Grundgangart Galopp und vor allem des Springvermögens. Die Fachgruppe Fahren im Deutschen Reiter- und Fahrer-Verband hat deshalb der Abteilung Zucht der Deutschen Reiterlichen Vereinigung vorgeschlagen, eine Kombination aus Eignungsprüfung für Fahrpferde und einer Bewertung in einem Freispringwettbewerb, in dem auch der Galopp beurteilt werden kann, als Stutenleistungsprüfung anzuerkennen. Der Vorteil einer solchen Öffnung des Prüfungswesens läge auf der Hand: Der Anreiz, junge Pferde einzufahren, würde verstärkt und gleichzeitig die Chance erhöht, mehr Leistungsdaten zu gewinnen als bisher. Es wird derzeit untersucht, wie hoch die Korrelation ist zwischen der Durchlässigkeit des Fahrpferdes bzw. der Rittigkeit eines Reitpferdes sowie der Grundgangartenbewertung vor dem Wagen bzw. unter dem Sattel. Wenn sich empirisch bestätigen lässt, was die praktische Erfahrung alter Reit- und Fahrausbilder vermuten lässt, gibt es keinen vernünftigen Grund, diese Flexibilisierung nicht zuzulassen und auszubauen. Die Selektionsmechanismen, die in den letzten Jahrzehnten zu einer erkennbaren Verbesserung der Reitpferdequalitäten der Warmblut-Rassen geführt haben, konnten quasi en passant auch die Fahrpferdequalitäten verbessern, weil eben – siehe oben – Reiten und Fahren zusammen gehören. Einer besonderen Leistungsprüfung für Fahrpferde bedarf es daher nicht. Benötigt werden hingegen Ausbilder, die junge Pferde behutsam an die Arbeit im Geschirr heranführen, nicht als Alternative, sondern als sinnvolle Ergänzung zum Reiten, zum abwechslungsreichen Training der Pferde und zur Verbreiterung der Absatzchancen. Nun ist es an der Zeit, dass die Zuchtverbände die Marktchancen für ein wirklich vielseitiges, also auch eingefahrenes Pferd erkennen und im Interesse der Züchter zu nutzen. Und das hat auch etwas mit intelligentem Marketing zu tun.

Rolf Schettler