Nicht morgen oder gestern sondern genau JETZT
Plötzlich in der Gegenwart
Wir Pferdeleute kennen das: in Hektik machen wir die Pferde fertig, spannen an und fahren los. Der Kopf ist noch voll und wir denken darüber nach, was wir gestern alles versäumt haben oder woran wir morgen unbedingt denken müssen. Wir sind weder im Hier noch im Jetzt!
Dann passiert etwas Erstaunliches: das Pferd holt uns binnen kürzester Zeit in’s Hier und Jetzt. Es lebt immer in der Gegenwart und macht das sehr deutlich:
Jetzt will es nicht an dieser Bank vorbeigehen und hier sind so viele Pfützen, dass man Zickzack läuft, um nicht hineintreten zu müssen! Und schwups haben sie es geschafft, uns in die Gegenwart zu holen. Toll! Wir reagieren in solchen Situationen immer auf unser Pferd.
Wäre es nicht viel schöner, wenn das Pferd gelassen an der Bank vorbeiginge und die Pfützen gar nicht beachten würde?
Wir denken manchmal zu viel und fühlen zu wenig
Kleines Beispiel gefällig?
Wir führen ein Pferd zur Koppel und das saftige Grün ist so verlockend, dass unser Vierbeiner auf dem Weg nur zu gerne „in’s Gras beißt“. Jeder, der diese Sorte Pferd kennt, weiß, dass es eigentlich eine Unart ist, die wir nicht tolerieren sollen. Es wird jeden Tag schlimmer und der Weg zur Weide dauert dann ewig. Ein ständiges Gezerre am Strick, damit das Pferd irgendwann mal auf der Wiese ankommt.
Mit jedem „in’s Gras beißen“ hält es uns den Spiegel vor:
„Schau, wie unaufmerksam du wieder bist!“ Einfach nicht im Hier und Jetzt.
Und? Was kann ich tun?
Fühlen, beobachten und bei der Sache sein (in der Gegenwart)! In jeder Sekunde voll und ganz beim Pferd sein und ihm ansehen, wenn sich in seinem Kopf der Wunsch nach Gras-Schnappen entwickelt. Glaubt mir, man kann es sehen! Eine Sekunde, bevor es anfängt den Kopf zu senken um nach Gras zu schnappen muss ich da sein. Ihm unmissverständlich und freundlich klarmachen, dass das jetzt nicht angesagt ist. Ein kleiner Zupfer am Führstrick, ein leises Schnalzen oder das Wörtchen „KOMM“ sind probate Mittel, uns den Respekt der Pferde zurück zu gewinnen.
Das heißt für uns: volle Aufmerksamkeit
Und jetzt kommt’s: wenn ich jede Sekunde aufmerksam bin, habe ich keine Chance in der Vergangenheit oder in der Zukunft zu sein. Ich bin ganz einfach im Hier und Jetzt.
So ist das auch beim Fahren: ich muss AGIEREN, bevor mein Pferd auf etwas reagiert. Je besser man das drauf hat, desto mehr Respekt bekommen wir von unseren Pferden und haben das Zeug zum Herdenführer.
Das Dumme ist nur: wenn wir mit Pferden umgehen, müssen wir immer, in jeder Sekunde, aufmerksam sein. Immer in der Gegenwart, immer beim Pferd. Zu Anfang kann das ganz schön anstrengend sein, aber irgendwann geht es in Fleisch und Blut über und man kann gar nicht mehr anders. Diese kleine Sekunde davor…
Wir lernen, unsere Pferde zu „lesen“ und jedes noch so kleine Erfolgserlebnis macht stolz und bringt Ansporn, auf diesem Weg weiterzugehen.
Also: tief ein- und ausatmen und einfach da sein, beim PFERD und bei UNS.
Birgit Barre